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Interpretation "Mein blaues Klavier" von Else Lasker-Schüler

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Interpretation "Mein blaues Klavier"



Das Gedicht "Mein blaues Klavier" wurde 1937 von Else Lasker-Schüler verfasst. Das Werk der zu dieser Zeit im Exil lebenden Autorin befasst sich im Kern mit den Auswirkungen des vom NS-Regime für Lasker-Schüler verhängten Publikationsverbotes 1933.
1869 und 1945 sind das Geburts- und Sterbejahr der Autorin, die ihre Erfahrungen durch ihre Flucht 1933 in die Schweiz und 1937 nach Jerusalem mit dem Verfassen von Gedichten verarbeitete.

Das in dieser Interpretation thematisierte Werk "Mein blaues Klavier" ist aufgebaut in fünf Strophen, wobei die erste, zweite und vierte Strophe aus zwei, die dritte Strophe aus drei und die letzte Strophe aus vier Versen bestehen. Das Reimschema ist ein Kreuzreim.

In der ersten Strophe wird, wie auch in anderen Gedichten von Else Lasker-Schüler, z.B. "Über glitzernden Kies", das zentrale Thema der Vorstellung eines nicht mehr existenten Zuhauses beschrieben: "Ich habe zu Hause ein blaues Klavier (...)" (vgl. V. 1), (vgl. "Über glitzernden Kies" V.1 "Könnt ich nach Haus (...)"). Zu der Schlussfolgerung einer nicht mehr bestehenden Existenz kommt man nach Betrachtung des zweiten Verses von "Mein blaues Klavier": "Und kenne doch keine Note." (vgl. V. 2). Diese Distanzierung von der Kunst des Klavierspielens steht metaphorisch für zwei zentrale Aspekte Lasker-Schüler's Leben, nämlich des für sie verhängten Publikationsverbotes sowie der daraus folgende Verlust ihrer Heimat. Dieser engen Verbunden- sowie Abhängigkeit trägt die Exilautorin Rechnung, in dem sie beide für sie weisenden Veränderungen in ihrem Leben auf das Klavier bezieht. So führt sie aus, dass das Klavier des lyrischen Ichs zu Hause steht, was im Rückschluss bedeutet, dass das lyrische Ich nicht am selben Ort, möglicherweise viele tausend Kilometer entfernt ist. Der Farbe Blau kommt in "Mein blaues Klavier" aufgrund ihrer mehrmaligen Erwähnung eine nicht zu verachtenden Rolle zu. Die allgemeine Wirkung von Blau wird beispielsweise von "lichtkreis.at" so formuliert: "(...) Blau wirkt beruhigend und entspannend (...); (...) Blau ist auch die Farbe der Melancholie. (...); (...) dieser Farbe zugeschriebene Unendlichkeit und Sehnsucht.". Aufgrund ihrer Äußerungen in diversen früheren Werken ist Heimweh und dessen Darstellung sowie Verarbeitung in Literatur von elementarer Bedeutung für das Schaffen von Lasker-Schüler. Die Farbe Blau scheint dies für sie, laut lichtkreis.at ebenso wie für die Allgemeinheit, zu symbolisieren, sodass Lasker-Schüler in Strophe 1 ein stimmiges Bild ihres verlorenen Zuhauses sowie ihre nicht mehr uneingeschränkte Möglichkeit der künstlerischen Freiheit darstellt.

Die Gesamtheit aller eben erwähnten Interpretationen wird in der folgenden Strophe bestätigt: "Es steht im Dunkeln der Kellertür, Seitdem die Welt verrohte" (vgl. V. 3,4). Das Dunkle symbolisiert hier die Verkommenheit des ehemaligen Zuhauses des lyrischen Ichs. Darüber hinaus steht es für ein gewisses Paradoxum. Ein dunkles Zuhause ist in der Natur seiner Wirkung eher abstoßend als anziehend. Und doch ist dem Gedicht zu entnehmen, dass das lyrische Ich sein Zuhause vermisst. Möglicherweise flieht es sich hier in eine nicht der Realität entsprechende Traumwelt, die als Schutz gegen die nicht zu kontrollierenden und zur damaligen Zeit vornehm ausgedrückt recht "befremdlichen" Einwirkungen der Umwelt fungieren soll. Dass es sich hierbei um melancholische Sehnsüchte und nicht um die Realität handelt, wird durch das von Lasker-Schüler angewandte Kreuzreimschema verdeutlicht. So wird dadurch eine gewisse Verbindung zwischen dem ersten Vers, "Ich habe zu Hause ein blaues Klavier (...)" und dem dritten Vers, "Es steht im Dunkeln die Kellertür (...)" erzeugt. Dem gegenüber stehen die ebenfalls durch einen Kreizreim verbunden Verse: "Und kenne doch keine Note (...)" (vgl. V. 2) und "Seitdem die Welt verrohte." (vgl. V. 4). Besonders letzteres ist eine unverblümte Beschreibung vieler damaliger Charaktere. Das Wort "verrohen" leitet sich bekanntlich aus dem Wort "roh" ab. Dieses wird auch im Zusammenhang mit dem Fleisch von Tieren verwendet, wobei roh den ungekochten, also den der Natur am ehesten und an den Mensch am wenigsten angepassten Zustand beschreibt. Das lässt den Schluss über die Welt zu, dass sie sich in einer sehr ursprünglichen Form in einer allgemeinen Disharmonie befindet. Im weiter verfolgten Vergleich zum Tierreich stände dies für den Egoismus, also den im übertragenen Sinne Lebenswillen der einzelnen Individuen.

In der nächsten Strophe dominieren zwei starke Kontraste, zum einen der Kontrast zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem und der Kontrast zwischen Else Lasker-Schüler's persönlichen Erfahrungen sowie ihrer politischen Anschauung. Die spielenden "Sternenhände vier" (vgl. V. 7) beschreiben in der weitergeführten metaphorischen Bedeutung des Klaviers die Ausübung ihrer Kunst und die Tatsache, dass es sich um 4 Hände handelt, zeigt, dass sie ihre Kunst mit einer weiteren Person teilte. Ihre naheliegendste Partnerin ist vermutlich ihre Mutter, da sie auch in anderen Werken von Lasker-Schüler eine zentrale Bedeutung hat. Obwohl dieser Vers im Präsens verfasst wurde, gibt er höchstwahrscheinlich im Zusammenspiel mit dem darauffolgenden Vers eine vergangene Handlung wieder: "- Die Mondfrau sang im Boote -" (vgl. V. 6). Die beiden Neologismen "Sternenhände" und "Mondfrau" lassen zum einen auf eine große Individualität sowie Bedeutung der Erfahrung für die Autorin schließen. Darüber hinaus wird die durch die Farbe Blau am Anfang des Gedichtes erzeugte Melancholie in der sehr atmosphärischen Beschreibung einer damaligen Nacht unterstützt.
Die im folgenden Vers erwähnten tanzenden "Ratten im Geklirr" (vgl. V. 7) sind wieder eindeutig in der Zeitform des Präsens anzusiedeln und stehen für die von dem lyrischen Ich, bzw. aufgrund der hohen Wahrscheinlichkeit einer autobiographischen Natur des Gedichtes von der Autorin abstoßende Haltung gegenüber den Nazis. Zum einen die für die NS-Verbrecher stehenden Ratten, als auch die durch eine Personifizierung ausgedrückte Unnatürlichkeit, "(...) tanzen die Ratten im Geklirr (...)" (vgl. V. 7), stehen für die Verbrechen gegen die Menschlichkeit des NS-Regimes, für die einige Kriegsverbrecher auch verurteilt wurden.

Nach dieser politischen Umschweife kommt das lyrische Ich wieder auf das im ersten Vers angewandte Bild des Klaviers zu sprechen: "Zerbrochen ist die Klaviatür..." (vgl. V. 8). Die hier angesprochen Zerstörung bezieht sich durch die Verwendung der zweideutig aufzufassenden Klaviatür zum einen auf das Klavier an sich, metaphorisch für die damals ausgeübte Kunst der Autorin, und zum anderen auf die Klaviatur, also die Gesamtheit aller Tasten. Diese Gesamtheit steht für die zu vergangenen Zeiten existente Vielfältigkeit der Möglichkeiten von Lasker-Schüler. Aufgrund ihrer durch das Publikationsverbotes ausgelösten Entscheidung ins Exil zu gehen, hat sie das NS-Regime indirekt dessen beraubt, was ihr am wichtigsten war. Dass es die verlorene Vielfältigkeit ihrer literarischen Möglichkeiten der Entfaltung ist, die ihr es nicht ermöglicht, sich an irgendeinem anderen Ort der Welt als ihrer Heimat bzw. mit ihr fremden und genau wie eine Exilunterkunft unvertrauten Menschen zu gewöhnen und heimisch zu werden, wird mit der Aussage: "Ich beweine die blaue Tote." (vgl. V. 9), verdeutlicht.

Nach Zusammenfassung dieser ganzen Aspekte, die für Lasker-Schüler's Psyche einen womöglich vernichtenden Charakter haben und darüber hinaus die Möglichkeit einer etwaigen Besserung in großer Ferne erscheinen lassen, offenbart die letzte Strophe des Gedichtes eine große innere Verzweiflung, die äußerst flehend und wehmütig wirkt.
Dies äußert sich durch die auf Hilfe angewiesene Ansprache der Engel: "Ach liebe Engel öffnet mir (...)" (vgl. V. 10). Durch eine erst spätere Vollendung des Satzes wird der Kern des Wunsches vom lyrischen Ich offenbart. Es möchte nämlich als dringendstes Anliegen seiner jetzigen aussichtslosen Situation entfliehen ohne eine bestimmte bindende Vorstellung eines Ziels zu haben. Erst nach Rekapitulation seines bemitleidenswerten Schicksals, "- Ich aß vom bitteren Brote -" (vgl. V. 11), kommt es auf sein gewünschtes Ziel zu sprechen. Aber bevor gerade erwähntes Ziel zur Sprache kommt, soll noch auf die Bedeutung des "bitteren Brotes" eingegangen werden. In der allgemeinen Meinung hat Brot ja nur schwerlich den Status eines Luxusgutes, das Wohlstand und Glückseligkeit ausdrückt. Dies wird hier durch Else Lasker-Schüler's Verwendung des Adjektiven "bitter" noch in seiner Negativität gesteigert. Auf das Leben der Autorin bezogen steht dieses gesteigerte Leid für die aufeinander folgenden Schicksalsschläge, der Tod ihrer Mutter sowie der zwanghafte Gang ins Exil.
Im darauffolgenden Vers wird, wie schon zuvor, die gewollte Wirkung der Farbe Blau unterstützt: "Mir lebend schon die Himmelstür - (...)" (vgl. V. 12). Dieser Einklang wird erzeugt durch das von beiden Stilmitteln erzeugte Bild der Unendlichkeit und Sehnsucht, der gleichzeitig für ein Entkommen aus dem so verhassten Schicksal steht.
Dass dies "(...) wider dem Verbote." (vgl. V. 13) geschieht, zeigt der Wunsch nach dem eigentlich Unmöglichen von Lasker-Schüler, nämlich der Ausübung ihrer Kunst in ihrer Heimat, dem durch das NS-Regime ein Riegel vorgeschoben wird. Das Streben nach der Unmöglichkeit steht stellvertretend für die prinzipielle Lebenseinstellung eines Exilanten oder einer Exilantin, wie es Lasker-Schüler war.

Nach ausführlicher Kenntnisnahme und Interpretation von "Mein blaues Klavier" ist klargeworden, wie aussichtslos Lasker-Schüler ihre damalige Situation bewertete. Die Zeichnungen, die dies für ihre Person sowie ihre Psyche auslöste, sind mit Worten schwer zu beschreiben. Als Ergebnis der der Strapazen, die Else Lasker-Schüler über sich ergehen lassen musste, reicht meiner Auffassung nach eine kurze Beschreibung der Umstände ihres Ablebens: Sie starb in verarmten Verhältnissen in Folge einer schweren Krankheit in Jerusalem.
Inhalt
Interpretation des von Else Lasker-Schüler verfassten Exilgedichtes "Mein blaues Klavier" als Hausarbeit im Deutsch-LK. (1539 Wörter)
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von JulianD
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